Polen aus seiner nationalistischen Isolation holen

Es waren insbesondere die Polen, die durch die Solidarność-Bewegung in den achtziger Jahren das Fenster für mehr Menschenrechte und Demokratie im sozialistischen Block aufstießen. Der polnische ‚Runde Tisch‘ war zudem 1989 Vorbild und Model für die Umsetzung der Friedlichen Revolution in der DDR, in deren Verlauf Oppositionsgruppen sowie alte und neue Parteien den Weg in die Demokratie beschritten. Polen hat seinerseits viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen erfolgreich beschritten, was dem Land 2004 den Beitritt zur Europäischen Union ermöglichte.

Volkswirtschaftlich ist das heutige Polen äußerst erfolgreich und die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland sind exzellent. Das ist unter anderem dem Fleiß und der Ausdauer dieses stolzen Volkes zu verdanken, von dessen Potential durch den Umzug vieler junger Polinnen und Polen auch andere EU-Ländern profitieren. Polen hat damit die finanzielle Unterstützung als größter Netto-Empfänger in der EU hervorragend genutzt. Europa funktioniert also durchaus.

Gesellschaftspolitisch stand das Land in den letzten Jahren an einem Scheideweg. Vor die Wahl gestellt zwischen der Verteidigung eines selbstbewussten und gesellschaftspluralistischen modernen Staates und einem nationalistischen und chauvinistischen Staat, der sich von der Demokratie und Europas abwendet, hat sich die polnische Führung – mit großen Schritten – für letzteren Weg entschieden. Eine Abkehr davon ist bisher leider nicht abzusehen. Die polnische Regierung der nationalkonservativen PiS-Partei hat seit Regierungsbeginn im Jahre 2015 unter ihrem Chef Jaroslaw Kaczyński in einem atemberaubenden Tempo alle Hebel in Richtung des letzten Szenarios in Bewegung gesetzt. Das aktuellste Beispiel war der Versuch, alleine gegen alle anderen EU-Mitgliedstaaten die Wiederwahl des eigenen Landsmannes Donald Tusk als EU-Ratspräsidenten zu verhindern.

Auch innenpolitisch reißt die aktuelle PiS-Regierung seit Amtsantritt die über Jahrzehnte mühsam entwickelten demokratischen und pluralistischen Strukturen ein. Ihr Ziel, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts durch Einsetzung von regierungsfreundlichen Richtern zu beenden, konnte auch durch Interventionen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments bisher nicht gestoppt werden. Im Gegenteil: Die polnische Regierung nutzt diesen Druck aus Europa innenpolitisch für sich aus und versucht, durch harsche Reaktionen und Unnachgiebigkeit Stärke zu beweisen. Allerdings gilt es hervorzuheben, dass die Rechtsstaatlichkeit kein Wohlfühlthema für EU-Staaten sondern Grundvoraussetzung ist, dem Club anzugehören. Die polnische Regierung unterläuft dieses Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, indem sie die öffentlichen Medien ihrer eigenen Kontrolle unterstellt und kritische Journalisten aus zentralen Positionen entfernt. Dutzende polnische Botschafter und Leiter polnischer Kulturinstitute im Ausland mussten bereits seit 2016 ihre Positionen verlassen. Das ist auch bei führenden Militärs der Fall. Auch bei gesellschaftspolitischen Fragen versucht die polnische Regierung das Rad der Geschichte zurück zu drehen. Das konnte man insbesondere bei einem von der polnischen Kirche unterstützten Antrag für ein gesetzliches Abtreibungsverbot beobachten, dem sich die Zivilgesellschaft mit Großdemonstrationen erfolgreich entgegengestellt hat. Die polnische Regierung hat daraufhin erstmals eine Gesetzesinitiative kurzfristig zurückgezogen, verfolgt jedoch weiterhin ihr Ziel, ein restriktives Abtreibungsgesetz durchzusetzen.

Als Reaktion auf diese klaren Rechtsstaatsverstöße und die Unnachgiebigkeit der polnischen Regierung sollte die Europäische Union alle regulatorischen und politischen Hebel nutzen, um noch mehr Druck aufzubauen. Im extremsten Fall könnten über den Artikel 7 des EU-Vertrags die Stimmrechte Polens ausgesetzt werden. Das Europaparlament sollte darüber diskutieren und die Regierungen der Mitgliedstaaten auffordern, alle Optionen offen zu halten – auch wenn Länder wie Ungarn bereits ankündigten, dass sie sich nicht an einer Aktivierung von Artikel 7 beteiligen werden.

Trotz beziehungsweise vielleicht gerade wegen des Versuchs der PiS-Regierung, mit antieuropäischer Politik und Rhetorik ihre Macht zu festigen, regt sich in der Bevölkerung Widerstand. Das ist nicht verwunderlich, da sich über 85% der Polen derzeit (noch) für Europa aussprechen. Bereits in den ersten Monaten nach Amtsübernahme der PiS-geführten Regierung bildeten sich außerparlamentarische Oppositionsbewegungen. Zu den größten und medial präsentesten Initiativen gehört das von Mateusz Kijowski angeführte „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“, kurz „KOD“, und die von Barbara Nowacka mitgegründete “Initiative Polen“ (Inycjiatywa Polska).

Das Akronym KOD soll an das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter „KOR“ erinnern, welche später in die Gewerkschaft Solidarnosc überging. Tausende Menschen gehen regelmäßig zu den Demonstrationen gegen die Regierungspartei PiS und setzen sich für die Einhaltung und Wahrung demokratischer Werte und den Verbleib Polens in der EU ein. Doch in den Augen vieler Beobachter hat KOD es bisher nicht geschafft eine homogene Bewegung zu bilden. Zudem wird es oft mit der Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) in Verbindung gebracht, welche für ein stark marktwirtschaftliches System einsteht. Gerade der letzte Punkt könnte der PiS in die Arme spielen, die genau dieses marktwirtschaftliche System verurteilt und dafür durchaus Zuspruch bei den Wählerinnen und Wählern findet. Bei aller Kritik leistet das KOD aber durchaus einen großen und sichtbaren zivilgesellschaftlichen Einsatz, was ihm die Auszeichnung mit dem europäischen Bürgerpreis 2016 einbrachte. Im Februar 2015 gründete Barbara Nowacka die überparteiliche „Initiative Polen“ mit, in der sich liberale und linke Gruppen gegen die PiS-Regierung zusammengeschlossen haben. Die Initiative ermutigt und fordert Polinnen und Polen auf nationaler und internationaler Ebene auf, sich aktiv in die gesellschaftspolitischen und demokratischen Belange in ihrem Land einzubringen. Als besonders erfolgreich erwies sich die Mobilisierung der Frauenbewegung durch die Kampagne „Ratujmy Kobiety“ (Rettet unsere Frauen). Polinnen und Polen setzen sich weltweit für eine aufgeklärte und säkulare Politik ein, um das von der PiS-Regierung geplante Abtreibungsverbot zu verhindern. Des Weiteren setzt sich die Initiative Polen für den erleichterten Zugang zu wissensbasierender Sexualerziehung und Reproduktionstechnologien und gegen die Bestrafung von Frauen auf Grund einer durchgeführten Abtreibung ein. Diese und andere Forderungen werden besonders von der polnischen katholischen Kirche kritisiert, welche die PiS-Regierung stark lobbyiert und sich für den Erhalt der sogenannten Gewissensklausel einsetzt. Barbara Nowacka betont regelmäßig, dass Frauenrechte ein entscheidender Teil der europäischen Wertegemeinschaft sind und umgesetzt werden müssen, um eine freie demokratische Gesellschaft zu bilden.

Diese und ähnliche Initiativen bedürfen der Unterstützung Europas und zeigen, dass Polen durch die Mobilisierung seiner eigenen gesellschaftlichen Kräfte aus der nationalistischen Isolation herauskommen kann. Auch auf diese Kräfte wird es bei den nächsten demokratischen Wahlen in Polen ankommen, wenn die Polinnen und Polen ihr Land wieder zurück auf den europäischen Weg bringen können.

Autoren

Arne Lietz und Marta Polusik / www.arne-lietz.de
Arne Lietz ist SPD-Abgeordneter des Europäischen Parlaments für Sachsen-Anhalt. Marta Polusik arbeitet in Brüssel, hat polnische Wurzeln und engagiert sich persönlich in Fragen zur Politik in Polen.