Seit dem 13. März 2016 fragten sich viele Bürgerinnen und Bürger, warum Politik und Medien sich auf einmal so mit Kenia beschäftigen. „Was geht den Politikern in Sachsen-Anhalt eine Krise in Kenia an? Sie sollen sich um ihr Bundesland kümmern.“ Die Wählerinnen und Wähler haben dem Bundesland eine neue politische Farbenlehre beschert. Die Konsequenzen der Wahl scheint noch nicht jeder in diesem Bundesland so recht verdaut zu haben. Im Landtag ist nun die AfD-Fraktion die stärkste Oppositionsfraktion. Ihre parlamentarische Arbeit ist zwar recht einsilbig – meist drehen sich Anfragen und Anträgen zum Thema Asyl und Islam – einigen in der CDU-Fraktion ist der politische Kompass jedoch anfangs abhandengekommen. Wie sonst kann man sich bestimmte Wahlgänge (Landtags-Vizepräsident, Mitglied Parl. Kontrollkommission…) erklären?
Das mag gute Gründe haben: Zehn Jahre hat die Große Koalition in Magdeburg nach einem roten Faden regiert – der Sanierung der Haushaltsfinanzen. Das hat als gemeinsame Klammer gereicht, das Ziel war politisch wenig umstritten. Zu wenig wurden dabei jedoch wirkliche politische Prioritäten – jenseits der Finanzpolitik – entwickelt. Die SPD distanzierte sich dann bereits in den Koalitionsverhandlungen von ihrem lange gehegten „Fetisch“ und setzte auf neue Prioritäten, die aber allesamt vor allem mehr Geld kosten. Und auch die beiden anderen Koalitionspartner CDU und GRÜNE wollten sich nicht lumpen lassen. Die CDU bekam das mittlerweile wenig geliebte Finanzministerium und muss in den nächsten Jahren alles unter einem Hut bringen.
Trotz eigener Unprofessionalität und durchaus ausgeprägter Selbstbedienungsqualitäten schaffte es die AfD unterdessen die Landespolitik in den Schlagzeilen zu dominieren. Ihre bloße Provokationen reichten erst einmal aus. Denn wie sollte die Politik nun auf die tagtägliche Provokation reagieren? Sollte ein stellv. CDU-Landesvorsitzender und Innenminister mit dem Chefideologen der Neuen Rechten auf eine Theaterbühne? Das Magdeburger Theater fand die Idee gar nicht so schlecht und zeigte in der späteren bundesweiten Krisenkommunikation eher grenzenlose Naivität. Denn die „Neue Rechte“ ist weder neu noch der Rittergut-Ideologe harmlos und auch nicht vom Volk gewählt, sondern durch geschicktes Selbstmarketing zu bundesweit zweifelhafter Berühmtheit und gewissem Einkommen gekommen. Nun hatte die SPD ihren roten Sheriff und die CDU einen Ministerpräsidenten, der sich zum Ziel gesetzt hat, diese „Koalition der Vernunft“ nicht aufs Spiel zu setzen. Haseloff wird nun immer mehr klar, dass diese Legislaturperiode die schwierigste in seinem politischen Leben sein wird. Der Ministerpräsident wird im Lutherjahr sicher oft die Formel „Ich stehe hier und kann nicht anders“ verwenden müssen.
In den letzten Monaten hat die Magdeburger Politik mehr mit sich als mit der Zukunftsentwicklung des Landes zu tun. Der Vorwurf mag teilweise stimmen, wurde die politische Landkarte nach der Landtagswahl doch auch komplett neu gezeichnet. Gleichzeitig hat die Regierung jedoch ein paar wichtige Vorhaben auf dem Weg gebracht, zum Beispiel mehr Geld für die Kommunen und Landespersonal. Dazu war in den Medien des Landes jedoch sehr wenig zu lesen. Vielmehr wurde Twitter als Logbuch-Quelle der koalitionsinternen Streitigkeiten rezensiert und Politik zu einem großen Theater inszeniert. Der Stoff wurde freiwillig frei Haus geliefert, aber den Medien scheint ein Gefühl für die richtige Gewichtung abhandengekommen sein. Teile der Berichterstattung dürften wohl schon als postfaktisch durchgehen, wie der vermeintliche Skandal der Fraktionszuschüsse, die der Bund der Steuerzahler sogar zu einer Anzeige gebracht hat. Es sind erregte Zeiten, die eine differenzierte Sicht der Dinge schwieriger macht.
Mit wenigen Ausnahmen war die Landespolitik seit 1990 immer schon recht turbulent und die Wahlergebnisse immer für Überraschungen gut. Das Grundvertrauen war in diesem Land nie so ausgeprägt wie in anderen Ländern, was vielleicht gerade mit dem holprigen politischen Start und dem einschneidenden Niedergang der Industrie in den 90er Jahren zu tun hatte. Über Jahre haben mehr Menschen das Land verlassen als hinzugezogen sind. Erst seit kurzem scheint dieser Trend gestoppt und besonders die beiden Großstädte Magdeburg und Halle/S. ziehen wieder mehr Menschen an. Der Harz wird zunehmend attraktiv für immer mehr Touristen und für die Filmwirtschaft und die Region Anhalt bereit sich auf das Luther-Jubiläum vor. Verdammt viel los in diesem Land, gar nicht langweilig und zunehmend im Fokus der bundesweiten und europäischen Wahrnehmung. Und trotzdem gibt es eine politische Unstetigkeit, ein dünnes politisches Fell und wenig Gelassenheit – und irgendwie eine bestimmte Garstigkeit den Politikern gegenüber.
Sicher ist, die AfD wird kein Vertrauen zur Politik aufbauen können. Sie bringt vielmehr diese Garstigkeit ins Parlament. Politik, Regierung, aber auch die Bürgerinnen und Bürger werden sich fragen lassen müssen, wie sie gemeinsam wieder ein Klima und eine politische Kultur etablieren, dass dieses Land wieder weiterbringt. Gegenseitige Empathie und die Fähigkeit zum differenzierten Urteil wäre schon mal ein guter Anfang. Und die Bereitschaft, sich in der Dorfgemeinschaft, im Verein und in Parteien ehrenamtlich zu engagieren und seinen kleinen Teil zum Gelingen beizutragen. Und eine differenzierte Sicht auf „die Politiker“ wäre auch hilfreich: Es gibt viele Bürgermeister, Landräte und Abgeordnete, die ihre Arbeit sehr engagiert und mit persönlichen Entbehrungen nachgehen. Und es gibt natürlich auch die, die ihre Arbeit in einem überschaubaren Rahmen nachgehen. Wer genau hinsieht, wird die Unterschiede erkennen und sollte sie bei der Wahl berücksichtigen.
Autor
Oliver Lindner / www.olindner.de
geb. 1974, Vorsitzender der Politikwerkstatt Sachsen-Anhalt e.V.
Sozialdemokrat, wohnt im Jerichower Land.