„Deutschland erlebt sein großes Steuerwunder“, meint Die Welt. Und recht haben die Redakteure! Finanziell geht es dem Staat so gut wie noch nie. Seit 2013 jagt ein Rekord den nächsten. Die Einnahmen sind auf Rekordhoch. Unter anderem durch eine starke Konjunktur Anfang 2016 erwirtschaftet der Staat einen Haushaltsüberschuss von 18,5 Milliarden Euro – der höchste Jahresmitte-Überschuss seit 1990. Die weitere Entwicklung wird überwiegend wohlwollend prognostiziert. Hier muss eine Frage erlaubt sein: Wie gehen die stetigen Einnahmeüberschüsse im zweistelligen Milliardenbereich mit der schlechten finanziellen Lage vieler Kommunen d’accord?
Viele Kommunen des Landes haben hohe Schuldenberge. Nicht genehmigte Haushalte häufen sich und die kommunale Handlungsfähigkeit wird eingeschränkt. Hier reicht die Investitionspauschale nicht für dringend notwendige Investitionen in den Straßenbau. Da wird aufgrund finanzieller Schieflagen ein Gemeinschaftshaus geschlossen. Und andernorts versucht man, den Druck der Verbindlichkeiten in Form von Steuererhöhungen zu kompensieren. Es fehlt einigen (ländlichen) Kommunen an allen Ecken und Enden. Es wird für Kommunalpolitiker zunehmend schwieriger, den finanziell begründeten Zerfall der Infrastruktur zu erklären, während Zeitungen vom „deutschen Steuerwunder“ titeln. Folge ist in vielen Fällen eine Abkehr von der Politik (der etablierten Parteien).
Parteilose und kommunale Wählergemeinschaften erobern die Rathäuser. Aus einer komfortablen Position der programmatischen Selektion („Ich nehme mir nur, was mir gefällt.“) sind die Urteile über „die da oben“ schnell gefällt. Zu wenig machen diese für den „kleinen Mann“ vor Ort. Sehr viel Geld ist da, wenig wird umverteilt. Diese Meinung kommt an in den Städten und Dörfern. Fernab der Korrektheit dieser Meinung frage ich mich, ob man die Deutungshoheit über die vertikalen Finanzbeziehungen lokalen Wählergruppen überlassen sollte?
Ist es nicht integraler Vorteil der „etablierten“ Parteien, deren Strukturen auch für den vertikalen Finanzausgleich zu nutzen. Sind es nicht die kommunalen Vertreter der Parteien, welche die finanziellen Probleme in deren Kommunen am besten (oder zumindest am schnellsten) „nach oben“ kommunizieren können? Sind es nicht die Landes- und Bundespolitiker der Parteien, die auf deren Mitglieder eher hörten als auf fremde „Kommunal-Lobbyisten“? Ist es nicht die große Chance der Parteien, durch vertikale Organisationsstrukturen, Button-Up-Kommunikation und Responsivität wieder größere Akzeptanz beim Bürger vor Ort zu finden?
Autor
Dr. Roger Stöcker / www.rogerstoecker.de
Dr. Roger Stöcker, geb. 1984, wohnt in Hecklingen (SLK) und Magdeburg, studierte Politikwissenschaft, Wirtschaftspädagogik und Geschichte, promovierte zum Doktor der Staats- und Wirtschaftswissenschaften, arbeitet als Unternehmer und lehrt als Wissenschaftler an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, forscht zur Zeit zu regionalen Wirtschaftsräumen, ist kommunalpolitisch aktiv (Stadtrat, sachkundiger Einwohner Landkreis), ist Kreisvorsitzender der SPD im Salzlandkreis.