Das Wahljahr 2016 hielt für uns einige unangenehme Überraschungen bereit. Die AfD ist allein in diesem Jahr in fünf Landtage und zahlreiche Kommunalparlamente eingezogen, die Briten stimmten für das Verlassen der EU und in den USA wird ein Immobilienmilliardär zum mächtigsten Mann der Welt gewählt, der im Wahlkampf mit Sexismus und Ressentiments gegen Minderheiten punktete. Arm gegen reich, fremd gegen heimisch, das Establishment gegen „das Volk“, wir gegen „die da oben“ – mit dem Kreieren von Feindbildern und der Verlautbarung von vermeintlich einfachen Lösungen zu komplexen Fragestellungen eilten Rechtspopulisten in den letzten Monaten von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.
Im Anbetracht dieser Entwicklung blickte man in der vergangenen Woche mit mehr als einem schlechten Gefühl Richtung Österreich und der Bundespräsidentenwahl. Nach der erfolgreichen Wahlanfechtung im Juli 2016 und der „Klebstoffkrise“, die eine Verschiebung der Wiederholung der Stichwahl brachte, sagten die Demoskopen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Grünen-Chef Alexander Van der Bellen und dem Rechtspopulisten Norbert Hofer voraus. Bei einer hohen Wahlbeteiligung siegte Van der Bellen mit 53,8 Prozent und wird nun nächster österreichischer Bundespräsident. Nach einem kräftigen Durchatmen und den obligatorischen Glückwunschbekundungen, vernahm man aus der Presse Stimmen, die das Land und die europäische Staatengemeinschaft mit der Wahlentscheidung gestärkt sehen. Strahlkraft auf die kommenden Wahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden solle die Entscheidung PRO-Van der Bellen haben. In der Euphorie des Wahlsieges kam einigen Sympathisanten sicher der Gedanke „Zum Glück sind wir nicht wie die Amerikaner auf den Rechtspopulisten reingefallen!“. Doch, wie weit unterscheiden sich die Wahlergebnisse eigentlich von einander?
Hofer und Trump verbindet, dass sie überwiegend männliche, ältere Wähler sowie Nicht-Akademiker ansprechen konnten. Laut Wahltagsbefragung des ORF wählten 56 Prozent der männlichen Österreicher Hofer. Bei Wählern, die eine Lehre absolviert haben, erreicht er 64 Prozent. Im Bereich der Arbeiter erhielt der Rechtspopulist sogar 85 Prozent. Bei Trump zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch er punktete bei weißen Männern ohne Hochschulabschluss und begeisterte ältere US-Amerikaner. Von Beginn seiner Kampagne an, wollte Trump „das korrupte System“ in Washington bekämpfen und pflegte sein angelegtes Image als Gegner des amerikanischen Establishments. Hofers Kampagne kann man mit den gleichen Worten beschreiben. Nach dem Wiener Wahlforscher Erich Neuwirth waren die Hauptmotive der Hofer-Wähler, dass ihr Kandidat gegen das etablierte politische System auftrete und Veränderungen im Land anstoßen könne.
Gleiche Wählerschaft, ähnliche Wahlkampfführung – warum reichte es für Trump aber nicht für Hofer? Banal, aber sicher auch ein Anhaltspunkt sind die unterschiedlichen Wahlsysteme. Während Österreicher ihren Bundespräsidenten direkt wählen, entscheiden sich US-Amerikaner bekanntermaßen mittels Wahlmänner für ihr Staatsoberhaupt. Zwar wird die Anzahl der Wahlmänner nach der Bevölkerungsstärke der Bundesstaaten bestimmt, eine Bevorteilung der kleineren, ländlich-geprägten Staaten findet jedoch trotzdem statt. Die Gründerväter wollten Landstriche nicht der Bedeutungslosigkeit aussetzen. So entfallen bspw. im bevölkerungsschwachen North Dakota knapp 225.000 BürgerInnen auf einen Wahlmann. In New York vereint ein Wahlmann die Stimmen von rund 668.000 Personen. Nicht jede Stimme hat das gleiche Gewicht. Dieser Umstand kam Donald Trump zu Gute: Gerade in ländlich-geprägten und bevölkerungsschwachen Regionen konnte er Wähler motivieren und so Staaten gewinnen. Trump gewann so zwar nicht die Mehrheit der US-weiten Wählerstimmen, wird aber mit der Mehrheit der Wahlmännerstimmen der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Norbert Hofer konnte auf dieses Demokratiedefizit nicht zählen. Zwar gewann er abseits der österreichischen Großstädte mehr Stimmen als Van der Bellen, verlor aber in urbanen Gebieten deutlich an Boden und damit die Bundespräsidentenwahl. Mit dem amerikanischen Wahlsystem in Österreich hieße der Bundespräsident heute womöglich Hofer. Titelseiten würden nicht von einem „Schlag gegen Rechtspopulisten“, sondern von einem weiteren Rechtsruck in Europa berichten.
Alle Theorie ist grau und dies nur ein Gedankenspiel. Verdeutlichen soll es nur, dass man bei all der Euphorie des Van der Bellen-Siegs nicht die 46 Prozent der Österreicher vergessen darf, die für Norbert Hofer, für Minderheitendiskriminierung und für eine Abschottung innerhalb Europas gestimmt haben. Die nächsten Wahlen in 2017 werfen bereits ihre Schatten voraus. Eines steht aber jetzt schon fest: Ein vermeintlich besseres Wahlsystem wird unseren Volksparteien keine euphorisierenden Wahlsiege bescheren, solange der Demokratiegedanke von der Politiktheorie nicht in den Köpfen der Menschen fest verankert ist. Jede Stimme zählt und ist es wert dafür zu kämpfen. Lasst uns an die Arbeit gehen.
Autor
Daniel Anger
Daniel Anger wurde 1986 in der Lutherstadt Wittenberg geboren. Nach seinem Abitur studierte er Europawissenschaften an der Hochschule Harz in Halberstadt und der Mykolas Romeris Universität in Vilnius (Litauen). 2011 schloss er dieses mit dem Titel „Diplom (FH)“ ab. Zudem besuchte er die Freie Universität Berlin und absolvierte im Bereich der Politik- und Geschichtswissenschaften ein Postgraduiertenstudium, das er mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Während dieser Zeit sammelte er praktische Erfahrungen im Europäischen Parlament, der Landesvertretung Sachsen-Anhalt bei der Europäischen Union, dem SPD-Bundestagsbüro von Engelbert Wistuba als auch im Bundeswirtschaftsministerium. Nachdem er mehrere Jahre in Berlin im Bereich der politischen Kommunikation als auch im Bundesumweltministerium tätig war, arbeitet er heute für den SPD-Europaabgeordneten für Sachsen-Anhalt, Arne Lietz.