Überlegungen zu CETA

Auf dem SPD Parteikonvent am 19.09.2016 in Wolfsburg werden gut 200 Delegierte über die Parteirichtung gegenüber dem Freihandelsabkommen CETA beraten und entscheiden. Zunächst einige Anmerkungen vorweg: Als Delegierter trifft man auf dem SPD-Parteikonvent eine mitunter schwerwiegende Entscheidung über die zukünftige Entwicklungsrichtung der EU. Aber auch die Zukunft der SPD wird von der Entscheidung des Konvents geprägt. Dieser Verantwortung bin ich mir als Delegierter des Konvents durchaus bewusst.

Eine fundierte Entscheidung ist aufgrund des komplexen Vertragswerks (insgesamt über 2.000 Seiten) nur äußerst schwer zu treffen. Aus diesem Grund muss ich meine Entscheidung insbesondere auf öffentlich zugängliche Stellungnahmen unterschiedlicher Verbände und Organisationen stützen. Darüber hinaus beziehe ich mich in den folgenden Ausführungen auch auf Anträge und Analysen bestehender Anträge zum Konvent (bspw. F/Antrag 4 der AsJ). Im Folgenden werde ich einige Argumente darlegen, die für die Entscheidung zu CETA und den Antrag des Parteivorstands eine wesentliche Rolle spielen.

Mechanismen in CETA, deren Sinn und Unsinn

Schiedsgerichte und Investitionsschutz

Die EU und Kanada besitzen entwickelte Rechtssysteme und funktionierende Schutzmechanismen für Investoren. Damit scheint die Einführung einer zusätzlichen Instanz für den Fall CETA unnötig, will man kanadische und europäische Investoren auf den jeweiligen Märkten Sicherheit bieten. Darüber hinaus ergeben sich einige Unsicherheiten und Gefahren:

  • Es besteht die Gefahr, dass Richter nicht als hauptamtliche Beamte mit entsprechender Unabhängigkeit urteilen
  • Es besteht die Gefahr, dass Richter eher markt- und liberalisierungsfreundlich entscheiden
  • Standards nationaler Gerichtsbarkeit könnten durch die Schaffung von Investitionsgerichten umgangen werden
  • Unbestimmte Begriffe wie „legitime Erwartungen“ oder „faire und gerechte Behandlung“ führen zu vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten
  • Die Möglichkeit durch nationale Rechtsprechung einer ausufernden Auslegungspraxis von Gerichtsbarkeiten Grenzen aufzuzeigen existiert bei CETA nicht

Welchen Sinn haben Schiedsgerichte also in CETA, sind sie doch augenscheinlich unnötig und potentiell schädlich? Eine Erklärung wäre das Bestreben supranationaler Organisationen (wie der EU-Kommission) Lenkungsmöglichkeiten von der nationalstaatlichen Ebene in andere Sphären zu überführen. Ein Indiz dafür wäre bspw. ein geplanter „gemischter CETA-Ausschuss“ – ein Konstrukt das weitreichende Entscheidungskompetenz haben soll, dessen Mitglieder aber gleichzeitig nicht demokratisch legitimiert sein müssen.

Negativlistenansatz

Das gesamte Abkommen ist von einem Negativlistenansatz geprägt. Diese grundsätzliche Regelung sieht vor, dass alle Bereiche privatisiert bzw. liberalisiert werden sollen, es sei denn sie tauchen in einer Negativliste auf. Diesem Ansatz wurde durch die roten Linien der Beschlüsse des Parteikonvents von 2014 eine klare Absage erteilt. Das Abkommen wäre allerdings ohne den Negativlistenansatz wohl nicht mehr das Selbe. Die jahrelange Arbeit an der Konstruktion von CETA wäre hinfällig. Aus diesem Grund ist es mehr als zweifelhaft, dass ein Positivlistenansatz im weiteren Verfahren überhaupt Platz in CETA finden kann ohne das Abkommen nicht komplett neu zu erarbeiten. Im Übrigen wurde 2009 bis 2014 geheim über CETA verhandelt, sodass der weitreichende Konstruktionsfehler des Negativlistenansatzes im frühen Stadium des Abkommens nicht demokratisch korrigiert werden konnte.

Die EU hat bislang den Positivlistenansatz in ihren Handelsabkommen verfolgt. Warum nun ein anderer Ansatz verfolgt werden soll, der wesentlich größere Risiken insbesondere für Bereiche der Daseinsvorsorge mit sich bringt, erschließt sich mir nicht und scheint ebenfalls unnötig. Ein Erklärungsansatz wäre sicherlich das Bestreben, eine stärkere Liberalisierung voranzutreiben und so einen „großen Wurf“ für international agierende Unternehmen zu erreichen. Ich persönlich sehe diese Zielstellung vor dem Hintergrund skizzierter Bedenken kritisch.

Rekommunalisierungsbestrebungen werden laut EU-Kommission als jederzeit möglich beschrieben. Welche Seite sich im Falle einer juristischen Auseinandersetzung tatsächlich vor einem Schiedsgericht durchsetzt bleibt allerdings fraglich. Zu beachten gilt hier wieder der weitreichende Liberalisierungsansatz von CETA.

Die AsJ kritisiert, dass folgende Bereiche nicht in der Negativliste auftauchen, die allerdings von vielen Sozialdemokraten durchaus als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge angesehen werden:

  • Gas
  • Strom und Fernwärme
  • Binnenhäfen
  • Öffentliche Beleuchtung
  • Grünflächen
  • Breitband
  • Smart Grids

Zusätzliche rechtliche Bedenken finden sich ebenfalls in dem AsJ-Antrag wieder.

Vorsorgeprinzip bleibt ohne Erwähnung

Für das Agieren innerhalb zweier Märkte, in denen unterschiedliche Verbraucherschutzprinzipien gelten wäre eine Klarstellung über die in der EU anzuwendende Vorgehensweisen sicherlich wichtig. Das europaweit geltende Vorsorgeprinzip wird allerdings nicht in CETA erwähnt. Das könnte nach Auffassung einiger Kritiker (u.a. BUND) dazu führen, dass das Vorsorgeprinzip in Gänze gefährdet ist. Denn eins steht fest: Ein Nachsorgeprinzip wäre in Sachen Marktzugang dem Vorsorgeprinzip deutlich überlegen. Marktakteure würden alles daran setzen, Produkte im Sinne des Nachsorgeprinzips auf europäische Märkte zu bringen.

Ökonomische Auswirkungen

Die Auswirkungen von CETA auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, der EU und Kanada wurden unter anderem in einem Bericht des ifo detailliert beleuchtet. Dort heißt es zu Effekten durch Marktöffnung und dem Fallen von Zöllen:

„CETA wird aber auch zur Handelsumlenkung führen: Wenn Importe aus Kanada in der EU relativ günstiger werden, dann werden Importe aus den Mitgliedstaaten und aus Drittländern möglicherweise verdrängt. Außerdem kommt es zum Verlust von Zolleinnahmen.“ (ifo Schnelldienst 24/2014 – 67. Jahrgang – 22. Dezember 2014)

Neben diesen qualitativen Aussagen wurden auch die Anstiege des Realeinkommens für die EU-Mitgliedsstaaten und Kanada mittels einer Simulation (fußend auf historischen Daten bereits bestehender Abkommen) durchgeführt. Für Deutschland ergäben sich nach dieser Rechnung des ifo ein Anstieg des Reallohneinkommens von 0,19 Prozent bzw. 63 US-Dollar. Berücksichtigt werden sollte an dieser Stelle, dass insbesondere der Fahrzeugbau und dessen Beschäftigte profitieren würden. Der Bergbau und Teile des Agri-Food-Bereichs würden hingegen verlieren, so die Autoren des ifo-Berichts Aichele und Felbermayer. Der Effekte auf die Reallöhne wird sich also keinesfalls gleichmäßig auf die gesamte Republik verteilen sondern vielmehr einzelnen Wirtschaftsbereichen zu Gute kommen. Bislang wenig beachtet scheint die Frage nach der Vergemeinschaftung von individuellen Risiken. Aichele und Felbermayer schreiben dazu:

„Für Investoren außerhalb der EU bedeutet dies, dass bei Vertragsbrüchen die EU in Haftung genommen werden kann, jedenfalls in den Bereichen, für die sie Kompetenz hat. Es entsteht die Gefahr, dass so politische Risiken vergemeinschaftet werden, die bei den individuellen Mitgliedstaaten angesiedelt sind. Dies könnte ein Fehlanreiz für Investoren sein: Sie leiten Investitionen in Mitgliedstaaten mit hohem Risiko um. Außerdem könnten in den Mitgliedstaaten die Anreize für eigene Maßnahmen zur Verminderung des politischen Risikos sinken.“ (ifo Schnelldienst 24/2014 – 67. Jahrgang – 22. Dezember 2014)

Darüber hinaus wird die Sinnhaftigkeit von Investitionstypen angezweifelt, die für den Handel von Gütern und Dienstleistungen keine Rolle spielen, jedoch in CETA enthalten sind.

„Direktinvestitionen spielen für den Handel von Gütern und Dienstleistungen eine wichtige komplementäre Rolle; bei anderen Investitionstypen ist dieser Zusammenhang nicht vorhanden. Aber es ergeben sich neue Risiken und Unsicherheiten, die für die handelspolitische Sinnhaftigkeit von CETA nicht eingegangen werden müssen.“ (ifo Schnelldienst 24/2014 – 67. Jahrgang – 22. Dezember 2014)

Abhängigkeit von zukünftiger Auslegung

Um noch einmal auf die unkalkulierbaren Folgen von in CETA verankerten Gerichtsbarkeiten einzugehen soll hier die Auffassung einer Studie der FES angeführt werden. In der Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung, die von Gerald Spindler und Christian Thorun verfasst wurde, heißt es unter anderem:

„Die Analyse zeigt ferner, dass eine abschließende Bewertung von CETA letztlich stark von der zukünftigen – wenn das Abkommen denn verabschiedet wird – Auslegungspraxis abhängen wird. So stehen etwa die generellen Ausnahmen von den Liberalisierungsverpflichtungen zum Schutz des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen unter dem Begründungszwang aufzuzeigen, dass sie nicht willkürlich sind und keine unrechtmäßige Diskriminierung darstellen.“ (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12500.pdf)

Es besteht also die begründete Befürchtung, dass durch die Auslegungspraxis bislang bestehende Standards zugunsten internationaler Marktakteure zurückgedrängt werden können. Die Möglichkeit allein ist noch kein Grund CETA abzulehnen, denn letztlich hat jedes Gesetz einen Graubereich, der vorher nicht zu kalkulieren ist. Allerdings müssen die erwarteten positiven Effekte überzeugen und stärker sein als etwaige Bedenken. Das sehe ich insbesondere unter Berücksichtigung der erwarteten positiven ökonomischen Folgen nicht.

Zusammenfassend

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass allein aufgrund der relativ geringen wirtschaftlichen Auswirkungen – die für bestimmte Wirtschaftsbereiche wie bspw. den Bergbau oder die Landwirtschaft zudem recht ambivalent ausfallen – ein Abkommen mit derartig bedeutsamen potentiell äußerst kritisch zu bewerten ist. Bleibt das Argument, die Globalisierung gestalten zu wollen, da man anderen Falls der Entwicklung hinterherlaufe. Martin Schulz äußerte sich dazu unter anderem wie folgt:

„Die Welt braucht Handel. Wir wollen die Globalisierung nicht bekämpfen, sondern sie gerecht gestalten.“ (Martin Schulz, MdEP)

Der Ursprung von CETA liegt nicht in einer „gerechten Gestaltung“ des Welthandels, sondern in Liberalisierung. Diesen grundlegenden Fakt gilt es bei der Bewertung von CETA zu beachten. Die Bemühungen CETA bzw. der Liberalisierung Grenzen in Form von fairen Regeln zu verleihen ist zu würdigen. Nach wie vor existieren jedoch gut begründete Bedenken gegen CETA. Die guten Gründe für CETA wirken im Vergleich zu den potentiell negativen Auswirkungen des Abkommens meiner Ansicht nach keinesfalls überzeugend. Freihandel kann durch den Abbau von Zöllen und einheitliche (technische) Normen gewährleistet werden. Alle weiteren Regeln sind unnötig.

Die vom Parteivorstand vorgeschlagenen „Protokollerklärungen“ zeigen das grundlegende Problem, das mit einem Ja zu CETA verbunden ist. An dem Vertragstext und den zentralen Konstruktionsproblemen (bspw. Negativlistenansatz) kann aufgrund des fortgeschrittenen Verhandlungsstatus nichts mehr geändert werden. Unklar ist zudem, welche rechtliche Bedeutung derartige Ergänzungen überhaupt entfalten können.

Die Umsetzung des politisch formulierten Ziels, trotz eines Negativlistenansatzes keine unkontrollierten Liberalisierungen zuzulassen, ist unter den bereits ausgeführten Unsicherheiten bei der künftigen juristischen externer Gerichte und aufgrund der grundlegenden Konstruktion „Negativliste“ nicht zu erwarten.

Autor

Carlo ReifgersteCarlo Reifgerste
geboren 1987, u.a. Delegierter für SPD-Bundesparteitag und Parteikonvent, wohnt in Magdeburg